HT 2021: My Home is Your Castle? Umkämpftes Eigentum vom Dritten Reich bis heute

HT 2021: My Home is Your Castle? Umkämpftes Eigentum vom Dritten Reich bis heute

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
hybrid (München)
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2021 - 08.10.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Alexander Heit / Kim Sandra Schulz, Graduiertenkolleg 1919, Universität Duisburg-Essen

Die Beiträge der internationalen Sektion „My Home is Your Castle? Umkämpftes Eigentum vom Dritten Reich bis heute“ widmeten sich dem Grundbuch als Quellengattung, das nicht nur historisch gewordene Eigentumsverhältnisse dokumentiert, sondern auch ein Repositorium von Wissen darstellt und ein entscheidendes Beweismittel in umstrittenen Eigentumsfällen ist. Die Vortragenden thematisierten dabei verschiedene Konzepte und Praktiken bei der Beantwortung von Eigentumsfragen in den beiden deutschen Staaten seit 1933.

In ihrer Einleitung stellte UTE SCHNEIDER (Essen) die Bedeutung von Eigentumsfragen in unserer Gegenwart heraus, für die der Volksentscheid in Berlin nur eines von vielen Beispielen sei. Diese gegenwärtigen Debatten schlössen an die Semantiken vergangener Eigentumsdiskurse an, die die Geschichte wie ein roter Faden durchzögen. Wie Schneider hervorhob, gehe die rechtliche Kodierung von Eigentum über seine nur juristische Bestimmung hinaus; stattdessen seien etwa zeitliche, soziale und räumliche Schichten zu unterscheiden, von denen letztere etwa mit dem von David Delaney eingeführten Begriffspaar nomoscape und nomosphere beschrieben werden könnten. Neben den Eigentumsordnungen selbst stellte Schneider Praktiken wie die Enteignung als gezielte Veränderung bestehender Ordnungen als lohnende Forschungsgegenstände vor.

Im ersten Beitrag betrachtete IRIS NACHUM (Jerusalem) die Rolle von Grundbüchern bei der Umsetzung des Lastenausgleichgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg. Einleitend stellte Nachum die Entwicklung des Gesetzes vor. Dieses sollte ursprünglich nur die Verluste von vertriebenen Deutschen kompensieren, infolge der Claims Conference wurde es aber auch auf zentral- und osteuropäische Holocaust-Überlebende mit einer starken deutschen Identität ausgeweitet. Anschließend ging die Referentin anhand zweier Fallbeispiele auf den Konflikt von Eigentumsansprüchen ein, der eintrat, wenn sowohl Vertriebene als auch Holocaust-Überlebende Entschädigungsansprüche anmeldeten. Da das Lastenausgleichgesetz nicht vorsah, jene zu entschädigen, die durch Ausnutzung der nationalsozialistischen Verfolgung Eigentum erworben hatten, sei die Frage nach dem genauen Kaufhergang aufgeworfen worden. Dieser Vorgang sei wiederum in den Grundbüchern dokumentiert gewesen. Nachum argumentierte, dass den Grundbuchunterlagen vor allem dann entscheidende Bedeutung zugekommen sei, wenn sie nicht einsehbar waren, etwa, weil die beteiligten Behörden die Herausgabe verweigerten. Obwohl allen Beteiligten bewusst gewesen sei, dass die Grundbücher eine eindeutige Bewertung ermöglichen würden, konnten vor allem die Nutznießerinnen und Nutznießer der nationalsozialistischen „Arisierungspolitik“ – die sich ihrerseits auf die Falschaussagen von Zeuginnen und Zeugen beriefen – ihren Anspruch oftmals über Jahrzehnte verteidigen.

Wieso west- und ostdeutsche Grundbuchämter mitunter wenig bereit waren, Informationen an die jeweils andere Behörde weiterzugeben, bildete den Ansatzpunkt für den Vortrag von SAGI SCHAEFER (Tel Aviv). Schaefer begann mit einem Rückblick auf die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), in deren Rahmen Grund und Boden oftmals ohne Rücksicht auf die bestehenden Eigentumsverhältnisse neu vergeben worden seien; dies geschah häufig ohne eine entsprechende Dokumentation in den Grundbüchern. In Ostdeutschland seien Grundbuchämter nur Teil der Verwaltung, nicht aber des Rechtssystems gewesen. In Westdeutschland sei den Grundbüchern dagegen ein deutlich höherer Stellenwert zugesprochen worden. Wegen der unterschiedlichen Praxis sei die Bereitschaft zum Austausch von Grundbucheinträgen zurückgegangen. In Westdeutschland habe es daher eine Reihe von Initiativen gegeben, um die fehlenden Auskünfte von Grundbuchämtern der DDR und weiterer sozialistischer Staaten zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Hierbei unterschied der Referent drei Gruppen: erstens die Schaffung neuer Grundbücher für Besitztümer, deren ursprüngliche Register noch in der DDR aufbewahrt wurden; zweitens die Dokumentation von Ansprüchen auf Besitztümer in der DDR, für die die Register bereits in der BRD geführt wurden; und drittens die Dokumentation solcher Ansprüche, die von Bürgerinnen und Bürgern der BRD auf Besitztümer in der DDR erhoben wurden. Als bekanntestes Projekt stellte er das Archiv für Grundbesitz e.V. vor, welches 1950 gegründet und von verschiedenen Bundesministerien unterstützt worden sei. Schaefer zufolge seien die Positionen der beiden deutschen Teilstaaten im Laufe der 1950er-Jahre in Bezug auf die Eigentumsregistrierungen immer weiter auseinandergedriftet: Habe man Grundstücke in der DDR ohne Rücksicht auf die Grundbuchämter verstaatlicht, so hätten sie in der Bundesrepublik zunehmend an symbolischer und kultureller Bedeutung gewonnen und seien geradezu zum „battle cry for West German cold warriors“ geworden. Erst 1972 sei es zu einer Einigung zwischen Ost- und Westdeutschland und der Gründung der Grenzkommission gekommen. Hierbei habe es sich jedoch mehr um die Anerkennung der divergierenden Auffassungen gehandelt als um eine tatsächliche Vereinbarung. Grundbücher und Grundbuchämter seien demnach nicht bloß als Rechtsmittel, sondern in ihrer Dimension als politische Waffe zu untersuchen.

Der Beitrag von KERSTIN BRÜCKWEH (Berlin) widmete sich der Bedeutung von Grundbucheinträgen in der Praxis eines anderen deutschen Gesetzes, des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen. Auf einer Makro- und Mikroebene untersuchte Brückweh Praktiken und Konzepte von Eigentum vor, während und nach 1989, wobei sie insbesondere das Haus als einen bedeutungsträchtigen Heimats- und Rückzugsort thematisierte. Zunächst arbeitete sie heraus, wie die Bevölkerung der DDR – insbesondere die Besitzerinnen und Besitzern von Wohneigentum – ein liberales Eigentumsverständnis bewahrte, was sich unter anderem in Eingaben über ausbleibende Grundbucheinträge niedergeschlagen habe. Dass Eigentum vielfach ohne entsprechende Dokumentation vergeben wurde, betrachtete sie als Ausdruck einer Kontrollstrategie, seien Besitzerinnen und Besitzer so doch stets auf das Regime angewiesen gewesen. Nach 1989 sei die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse zu einem wichtigen Teil der Wiedervereinigungspolitik geworden; auf der Makroebene habe man gehofft, hierdurch gleichzeitig eine effiziente Wirtschaft, einen Rechtsstaat und eine Zivilgesellschaft aufbauen zu können. Das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ sei jedoch vielfach auf Widerstand der ostdeutschen Besitzerinnen und Besitzer gestoßen, die oftmals erfolgreich gegen eine Rückübertragung vorgingen. Am Ende ihres Vortrages skizzierte Brückweh anhand zweier Fallstudien, wie Besitzerinnen und Besitzer Erzählungen um Eigentumsstreitigkeiten spannen und ihre Geschichte dabei erst 1989 beginnen ließen, um ein Erfolgsnarrativ aufrechterhalten zu können. Am Beispiel der Stadt Kleinmachnow erläuterte sie, wie komplex und langwierig die juristische Suche nach Eigentümerinnen und Eigentümern und die Schaffung vom Gefühl des Eigentums sein konnte – die mitunter erst vor dem Europäischen Gerichtshof endete.

In ihrem Kommentar fasste KORNELIA KOŃCZAL (München) zunächst zentrale Aspekte der Vorträge zusammen, die jeweils die enge und mitunter problematische Verbindung von Besitz und Eigentum betont hätten. Innerhalb der Bevölkerung in West- und Ostdeutschland seien Grundbücher weithin als legitime Repositorien von Wissen anerkannt worden, die imstande waren, einen Eigentumsanspruch zu untermauern und somit Sicherheit zu vermitteln; insofern sei von einer regelrechten agency von Grundbüchern zu sprechen. Hiernach eröffnete Kończal die Diskussion mit einigen Fragen an die Vortragenden, die ihre Ausführungen weiter erläuterten und dabei über die Grundbücher selbst hinauswiesen: Dass etwa Vertriebene ihren Anspruch auf Besitztümer, die ihnen infolge der nationalsozialistischen „Arisierungspolitik“ zugefallen waren, oftmals lange gegen Holocaustüberlebende aufrechterhalten konnten, sei Nachum zufolge nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das Personal in den Heimatauskunftsstellen oftmals selbst vertrieben worden sei – dieses hätte sich mitunter in eine „Solidargemeinschaft“ mit vertriebenen Antragsstellerinnen und Antragsstellern begeben. Ebenso hätten Falschaussagen vorgeladener Zeuginnen und Zeuginnen wegen der fehlenden Grundbücher nicht widerlegt werden können. Zusätzlich seien Grundbücher mit Informationen gefüllt worden, die die Personen selber vorbrachten. Nicht nur falsche Zeugenaussagen, sondern auch fehlerhafte Selbstaussagen hätten zu Problemen geführt. Demnach ist die Rolle der Akteurinnen und Akteure in verschiedenartigen Grundbuchpraktiken kaum geringzuschätzen.

Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit konnte die Diskussion leider nur unter den Vortragenden selbst geführt werden; nach Beendigung der Sektion wurde sie in einem separaten Meetingraum für weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer geöffnet. Die Vortragenden erläuterten, dass ihre Beiträge nur einen kleinen Einblick in die vorhandenen Quellen liefern könnten. Durch die Menge der vorhandenen Grundbücher habe eine geographische und personelle Vorauswahl getroffen werden müssen. Gleichwohl machten die sie deutlich, wie aufschlussreich Grundbücher nicht nur für rechts- und sozialhistorische Fragestellungen, sondern auch für eine entangled history bis hin zu einer Geschichte von Verlusterfahrungen sind. Lohnenswert wäre zudem eine Betrachtung von movables, wie sie auch Kończal anregte, die den Blick schärfen könnte für die Spezifika im Umgang mit Grundstücken und Immobilien.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Sagi Schaefer (Tel Aviv) / Iris Nachum (Jerusalem) / Kerstin Brückweh (Berlin)

Ute Schneider (Essen-Duisburg): Einführung und Moderation

Iris Nachum: Absent but Not Gone: The Role of Land Registries in the Practice of the Lastenausgleich

Sagi Schaefer: Saving the Past for the Future: West German Land Registry Projects as Cold War Arsenal

Kerstin Brückweh: Repositories of Knowledge: Land Registries Before, During, and After 1989

Kornelia Kończal (München): Kommentar


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